Das übliche Erstaunen, „Was, der ist schon 70?“ wird im Falle unseres Friedel wahrscheinlich selten zu hören sein. Natürlich sieht man es ihm so wie allen anderen Turnern keineswegs an, dass er das Jugendalter bereits überschritten hat, aber angesichts der unendlich langen Zeit und der gefühlten Tausend mal, die man ihn im Turnverein gesehen hat, können wir uns ja kaum vorstellen, dass sich das alles binnen lächerlicher 70 Jahre überhaupt hat ausgehen können. Ich persönlich bezweifle auch weiterhin, dass Friedel tatsächlich dem im PHTV so stark vertretenen Jahrgang 1942 angehört. Das würde nämlich bedeuten, dass es den PHTV irgendwann einmal ohne Friedel gegeben haben müsste, und das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.

 

Wie auch immer, Details aus Friedels Leben gibt es tatsächlich erst aus den letzten 70 Jahren. In die Turnerfamilie Egermann hineingeboren, verbrachte auch er bald wie seine Eltern Anna und Walter den Großteil seiner freien Zeit im Turnverein. Wettkämpfe ohne Friedel waren dann bald nicht mehr vorstellbar. Egal ob Bergturnfeste oder Gau- und Bundesturnfeste, Deutsche Turnfeste – Friedel war am Start. Vor allem galt seine Liebe dem Kunstturnen, bei dem er nicht nur immer dabei, sondern vor allem immer ganz weit vorne zu finden war. Bei unzähligen ÖTB-Wettkämpfen feierte er Erfolge, dazu kamen Teilnahmen an mehreren Landes- und Staatsmeisterschaften.

Doch als sich die leistungssportliche Karriere dann dem Ende zuneigte, ging es für Friedel im Turnverein erst so richtig los: Als Vorturner der Leistungsriege und Turnwart war er hauptverantwortlich für die großen Erfolge mehrerer PHTV-Generationen, allen voran seines Sohnes Dieter und von Fredi Schmidt, die beide Staatsmeistertitel errangen; Dieter nahm sogar an Weltmeisterschaften teil.

Was Friedel aber unter all den ausgezeichneten und engagierten Vorturnern unseres Vereins so einzigartig macht, sind nicht in erster Linie die Erfolge „seiner“ Turner. Es ist die Art, wie er sich um sie gekümmert hat. Wenn es eine Schar Kinder oder Jugendlicher zu den ASVÖ-Lehrgängen in Langenzersdorf, zu Turnfesten oder Wettkämpfen zu transportieren gab, Friedels VW-Bus war zur Stelle und bis auf den letzten Platz gefüllt; wenn der PHTV ein Trainingslager abhalten wollte, Friedels Haus in Annaberg stand dafür immer zur Verfügung und selbstverständlich wurden die Teilnehmer von Friedel nicht nur trainiert, sondern von ihm und Liesl auch bekocht. Auf Friedel war und ist eben immer Verlass – ganz wie es sich für einen wahren Papa seiner Turnerfamilie gehört.

Neben all dem gerät leicht in Vergessenheit, dass Friedel nicht nur im PHTV seit Jahrzehnten eine tragende Rolle spielt, sondern auch in anderen Funktionen im Österreichischen Turnerbund tätig war. Im ÖTB-Wien löste er den langjährigen Fachwart für Männerturnen, Erhard Bail, ab und übte diese Funktion mehr als 10 Jahre aus. Dem Turnen in Wien gab er in dieser Zeit wichtige Impulse, unter anderem durch die Einführung des Mannschaftswettkampfs, der bis heute fixer Bestandteil unseres Wettkampfkalenders ist.

Dass Friedel neben all dem noch Zeit für anderes gehabt hat, ist schwer vorstellbar, aber durch die Tatsache, dass er drei Kinder, Liese, Ulla und Dieter, hat, hinlänglich bewiesen. Dieses Rätsel ist wohl nur durch den Liebreiz seiner Liesl zu erklären. Sich dann auch noch um seine elf Enkel zu kümmern, war insofern leichter, als sie allesamt zumindest eine zeitlang im Turnverein aktiv waren und dort war er ja ohnehin zur Stelle.

Das muss wohl als einer der großen Vorzüge der spezifisch Friedel’schen Bigamie sein – seit 50 Jahren ist er gleichzeitig mit Liesl und dem Turnverein verheiratet. Sollte Liesl darunter jemals gelitten haben, hat sie es ihm jedenfalls gründlich heimgezahlt und sich ebenfalls auf ein fixes Verhältnis mit dem PHTV eingelassen – eine Menage a trois, bei der es nur Gewinner gibt, den PHTV vor allem.

In den vergangenen Jahren ist Friedel gesundheitlich bedingt auf dem Turnboden allenfalls als Gast bei Gigantenwettkämpfen und Faschingsturnen zu finden – und dennoch gibt es keine Turnstunde ohne ihn. Zumindest für all diejenigen, die der guten Turnertradition folgend, eine Turnstunde nicht mit dem Duschen abschließen, sondern dem lauwarmen Wasser noch kalte Getränke folgen lassen und in unser Vereinsheim kommen. Hier ist Friedel als emsiger Wirt, aufmerksamer Gastgeber für alle und vielgeliebter Hahn im Korb unserer Turnerinnen bis heute Mittelpunkt unseres Vereinslebens.

Dass Friedel für sein Wirken im PHTV und im ÖTB 1982 mit der Ehrenurkunde des Österreichischen Turnerbundes ausgezeichnet wurde, ist eine hochverdiente Auszeichnung. Aber wahrscheinlich ist ihm diese letzten Endes gar nicht so wichtig. Was für Friedel zählt, ist die Freude, die er daran hat, dass er mit dem Turnverein eine zweite Familie hat. Und für den PHTV zählt, dass er in Friedel einen Turnbruder hat, der diese Bezeichnung verdient wie kein zweiter.

Thomas Brey