(oder: „EIN  ERLEBNISBERICHT  ÜBER  DIE  VERLORENEN  SCHÄFLEIN“)

Pünktlich am Freitag, dem 01. Mai, um 08:30 Uhr brachen wir per Autobus auf und entfernten uns vom Geschehen auf der Wiener Ringstraße, um unserer eigenen Wanderung in Richtung Rosaliengebirge zuzustreben. Die Wettervorhersage war aufgrund verschiedener Informationsquellen zwiespältig, aber unsere Erwartungshaltung in dieser Hinsicht von Hoffnung geprägt; und je weiter wir nach Süden kamen, desto durchlässiger wurde die Wolkendecke – es sollte ein richtig passendes Wanderwetter werden!

Die Busfahrt endet in Frohsdorf, wo wir „ausgeleert“ werden. Nun geht´s auf Schusters Rappen durch den Ort, am Ortsausgang auf einem leicht ansteigenden Güterweg einer großen Wiesenfläche entlang. Hier beginnt sich „die Spreu vom Weizen“ zu trennen: Vorne „Ottonormalverbraucher“ in zügigem Tempo den Hang entlang, hinten ein bockiges Kleinkind namens Inga, das von nun an getragen werden möchte; aber zum Glück ist da auch noch die kleine Sophie, die genügend Anziehungskraft ausübt, wodurch der Bequemlichkeitsanfall im Nu vergessen ist und vom Spieltrieb verdrängt wird. Im Umfeld dieses Geschehens befinden sich neben Erziehungsberechtigten, Fußschwache, Schnaufer und andere marode Schäflein, die zum Teil sehr empfänglich für derlei Unterhaltungspausen sind.

Einer, das bin ich, trennt sich langsam von den „Hintengebliebenenundanderenverzögerern“; einerseits um mit seiner mangelnden Luftkapazität durch stete, aber gemächliche Schritte hauszuhalten, andererseits um den Sichtkontakt nach vorne nicht zu verlieren. So entsteht zwischen „Denendavorne“ und „Denendahinten“ ein immer größerer Abstand und ich dazwischen genieße die herrliche Waldruhe, in der wir uns nun befinden, mit Kuckuck und anderem Vogelgeträller. Langsam entschwindet das „Schwänzlein“ von vorne (man verzeihe mir die Respektlosigkeit!), personifiziert durch Edda und Herbert, meinem Blicke. Ich genieße die leicht ansteigende, bequeme Waldstraße, den Duft der Einsamkeit, der mich offenbar beflügelt und mit einer gewissen Hurtigkeit umfasst. So steige ich ein gutes Stündlein den Rücken der Rosalia hinan, bis mein Weg an einen Querweg stößt, was mir vier Optionen zur Fortsetzung meines dynamischen Bewegungsablaufs offen lässt: Den Weg rechts, den Weg links, nach vorne durch den Wald querfeldein oder den Weg zurück. Ich entschließe mich vorerst zu einem „Protestsitzen“, nachdem mir „Diedavorne“ entfleucht sind und „Diedahinten“ nicht weitermachen.

Nun, die Pause neigt sich langsam Richtung Unendlichkeit und ich beschließe schweren Herzens, die erarbeiteten Höhenmeter wieder zu vernichten, indem ich zurückgehe. Der nunmehrige Rückwertsgang hat einige langgezogene Serpentinen zu überwinden. Da, siehe! Zwischen den dicht stehenden Baumstämmen bewegt sich ein graurotes hopsendes Etwas, das ich in aller Unschärfe als Brunfthirsch mit heraushängender Zunge zu identifizieren gewillt bin. Als dieses Etwas nach der letzten Kurve hinter der Baumkulisse heraus mir entgegen sprintet, erkenne ich meinen Enkel Bernd mit rotem Kragen an grauer Jacke: „Opi, wir haben uns vergangen (man beachte den Majestätsplural), aber die (das sind „Diedavorne“) haben am Handy gesagt wir sollen weitergehen, da kommen wir auch auf den Kamm. Die (das sind „Diedahinten“) kommen bald, weil Omi (das ist Christa, eine alte Pfadfinderin) hat Deine Schuhabdrücke im Gatsch erkannt, d´rum sind wir Dir nachgegangen.“ - Bumm, nun bin ich von den Schäflein also das schwarze Schaf, weil Leithammel der Verlorenen! Ich setze mich desillusioniert nieder, während Bernd zurückläuft, um die frohe Botschaft - Ihr wisst schon - „Denendahinten“ zu überbringen. Wiederum erhellt die Waldesruhe mit Kuckuck und Vogelgeträller mein Gemüt. Doch langsam in ansteigender und, mit Verlaub, störender Intensität wird diese erholsame Ruhe von Geplapper, Gequitsche, Gepolter und Gelächter unterbrochen, bis „Diedahinten“ nichtmehr dahinten, sondern bei mir angelangt sind.

Nun wird in einem eingehenden Colloquium versucht, eine zielgerichtete Vorgangsweise festzulegen: Da unser Standort ganz offensichtlich außerhalb des Bereichs anzunehmen ist, den die mitgeführte Karte zeigt – also eher Richtung Sahara als gegen Bad Sauerbrunn gerichtet – und das Navi im Mobiltelefon unsere Situierung zwar weit südlich von Eichbühel, Gspitztem Riegel und Sauerbrunn im grünen Niemandsland ohne Wege (sprich Wald) anzeigt, beschließen wir den linken, weil nach Norden gerichteten Weg zu nehmen. Doch ätsch! Der Weg schwenkt nach kurzem in einem weiten Bogen wieder nach Süden, wir können uns im Geiste dagegen stemmen so viel wir wollen; der Weg führt uns der Sonne entgegen (es ist bereits Mittag), was wenigstens dem winterlichen Teint der Turnschwestern förderlich ist. Nach halbstündiger, sturer Südwärtsbewegung, immer näher zur Sahara, meint Sigrid tröstlich: „Irgendwann kommen wir schon hinunter und dann holen sie („Diedavorne“) uns mit dem Autobus“.

Doch nun erreichen wir den Kamm und ….. einen ortskundigen, ungarischen Mountainbiker! Der zeigt uns verlorenen Schäflein, wo in der Rosalia der Bartel den Most holt; womit wir nun dankenswerter Weise zu wissen glauben, wo´s lang geht. So wandern wir, sieben Erwachsene Schäflein (eines schwarz) und drei Kinder den rot markierten Kammweg nach – erraten! – NORDEN. Nach einiger Zeit können wir unseren Erkenntnisstand erweitern, weil wir anhand eines Wegweisers „55 Minuten nach Eichbühel“ feststellen können, dass wir bereits in unsere mitgeführte Wanderkarte „hinein gewandert“ sind. Nach etwa zwei Kilometer weist uns eine blaue Markierung nach rechts, das ist Richtung Osten, den Hang hinunter. Nun beginnt ein spannendes Zeitlabyrinth, weil jeder Entgegenkommende, den wir nach der Dauer der Reststrecke fragen – es sind in der Mehrzahl Mountainbiker – gibt uns zur Auskunft „ungefähr 20 Minuten“, und das mehrmals, sodass man den Eindruck gewinnen muss, dass es sich um eine abgesprochene Verschwörung handeln könnte; denn werden diese Auskünfte addiert kommen wir in etwa auf die ca. 75 Minuten, die wir noch zu gehen hatten. Die letzte Auskunft, wie lang es denn noch bis Bad Sauerbrunn wäre, erhalte ich von zwei entgegenkommenden älteren Damen mit „gleiii“, was, wie ich feststellen muss, in etwa wieder 20 Minuten bedeutet.

In Sauerbrunn angekommen, warten wir kleine Schafherde am Hauptplatz zusammen, gehen die von uns befürchteten letzten 20 Minuten, die sich als 5 Minuten herausstellen, zur Weinschenke und hoffen, dass „Diedavorne“ nicht vor lauter Langeweile uns Helden des Tages die Küche leergegessen haben.

Mea culpa, Euer Armin